Der beste Motorradausflug zur nächsten Parkbucht

Eine Parkbucht, ein Schmetterling, ein schwarzer Tiger und die Erkenntnis

Ich befand mich mittlerweile auf dem Weg nach Korsika. Vor mir lag eine wundervolle Woche auf einer Insel, die für uns Biker wie geschaffen sein soll. Von Livorno in Italien nahm ich die Fähre nach Bastia auf Korsika. Innerhalb von fünf Stunden war ich da. Und tatsächlich, es eröffnete sich eine Insel, die so schön ist, dass sie in Worten nicht zu beschreiben ist. Geplant war eine Woche voller Touren. Das Wetter war stimmig, die Straßen waren gut zu fahren, ich war happy. Aber wie es so ist: Da hast du einen Plan und schwupp, kommt das Leben um die Ecke und wirft alles durcheinander. So auch diesmal, aber der Reihe nach:

Als ich von der Fähre fuhr, wurde ich von herrlichen 20 Grad empfangen, genau richtig für mich als Bikerin. Ich machte mich auf den Weg zu meiner Unterkunft, die sich 30 km nördlich von Bastia, kurz vor Santa Severa, befand. Schön an einer Küstenstraße entlang, wie sie im Bilderbuch zu finden ist. In dieser Gegend fährt weder ein Zug, noch gibt es einen Bus. Macht nichts, ich hatte ja mein Motorrad.

Von meinen Vermietern wurde ich herzlich empfangen und ich muss sagen, nach zweieinhalb Jahren, in denen ich in zahlreichen Unterkünften übernachtete, habe ich noch nie eine solche saubere und zugleich behagliche Unterkunft vorgefunden. Ein kleines Apartment mit einer kleinen Terrasse und dem Blick aufs Meer.

Es dauerte nicht lange, da waren auch schon die Katzen der Nachbarn da, um mich zu inspizieren. Man muss ja wissen, wer in die Nachbarschaft einzieht. Unter anderem ein schwarzer Tiger, der mich sah und ab dem Zeitpunkt nicht mehr von meiner Seite wich. Selbst beim Spaziergang ging er mit. Mir wurde vom Vermieter versichert, dass die Katzen ein Zuhause haben und versorgt werden. Sie halten sich halt gerne hier auf.

Erste Handlung: Auspacken, rauf auf die Liege und den Ausblick genießen. Auf der anderen Liege machte es sich der schwarze Tiger bequem. Sonne und dieser Ausblick in guter Gesellschaft brachten mir eine tiefe innere Ruhe. Ich freute mich schon auf den Sonnenaufgang am nächsten Morgen.

Als ich am nächsten Tag bei Sonnenaufgang aufstand, war der schwarze Tiger wieder da. Wir genossen zu zweit das Lichtspiel am Himmel und im Meer. Ich erkundigte mich noch einmal, ob für die Versorgung der Katzen gesorgt sei. Alles bestens.

Nun hieß es, für meine eigene Versorgung zu sorgen. Auf nach Bastia, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Wie schön kann Einkaufen sein, wenn der Weg kurvenreich an der Küste entlanggeht und du weißt, du musst den Weg auch noch zurück. Das nenne ich ein Einkaufsvergnügen. Als ich zurückkam, saß der schwarze Tiger vor der Tür, um mich zu begrüßen.

Den nächsten Tag wollte ich die Küste weiter in den Norden hochfahren. Nach der Arbeit schnell umgezogen, kurzer Abschied vom schwarzen Tiger und rauf aufs Motorrad. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht fuhr ich los. Nach etwa einer halben Stunde Fahrt passierte es. Mein Motorrad ging aus und sprang auch nicht mehr an. Natürlich mitten in der Kurve, wennschon, dennschon. Das Grinsen im Gesicht erstarb. Zum Glück hielt ein Pärchen an und half mir, das Motorrad auf die kleine Parkbucht zu schieben. Da stand sie nun, mein geliebtes Motorrad, und ich geschockt davor.

In Italien war ich noch extra in einer Werkstatt gewesen und bat um einen Ölwechsel und ein Durchchecken, ob noch alles in Ordnung ist, was auch erledigt wurde.

Aber warum sprang mein Motorrad nicht mehr an? Und dann noch hier, mitten in der Pampa, wo es nicht einmal ein Café gab?

Ich rief den ADAC an und bat um Hilfe. Die wurde mir zugesichert.

In zwei Stunden sei jemand da. Wenn nicht, solle ich noch einmal anrufen.

Zwei Stunden? Hier? Na, zumindest hatte ich eine Parkbucht mit Meerblick.

Davon hatte ich nur wenig. Denn in den zwei Stunden sind viele Auto- und Motorradfahrer bei mir gewesen, um sich zu erkundigen, ob es mir gut ginge. Einige fuhren erst vorbei, drehten bei der nächsten Möglichkeit um, um mir ihre Hilfe anzubieten.

Zwei Stunden später und noch kein Abschleppdienst in Sicht. Das half nichts, noch einmal beim ADAC angerufen. Oh, ich sah, dass auch nicht mehr viel Akku auf meinem Handy vorhanden war.

In drei Stunden sei jemand da und wenn nicht, solle ich wieder anrufen.

In drei Stunden? Hier in der Pampa? Dann ist es dunkel. Wenn mich hier jemand überfällt, was dann? Wer übernimmt denn dann die Verantwortung? Wer findet mich? Und mein Akku vom Handy hat nicht mehr viel Saft. Wie soll ich zurückrufen?

Fünf Stunden insgesamt auf einen Abschleppdienst warten. Ich war entsetzt und gab alles, um meinem Entsetzen Luft zu machen. Laut schrie ich alles raus, was sich in mir gestaut hatte. Es war so ungerecht, ich war so wütend und ich hatte Angst. Ich fühlte mich auf einmal ganz alleine auf dieser Welt. Diese Welt, die sich gegen mich verschworen hatte. Was hatte ich übersehen, was falsch gemacht, warum passiert mir das? Da bin ich auf einer fantastischen Insel und muss auf den Abschleppdienst warten, statt zu fahren.

Während ich die Parkbucht wütend auf und ab stampfte, kamen natürlich noch mehr Auto- oder Motorradfahrer, um sich zu erkundigen, ob sie mir helfen könnten. Ich hielt kurz inne, um die Wut nicht an anderen auszulassen, bedankte mich und fuhr mit meinem Auf-und-ab-stampfen fort, um meiner Wut und Angst freien Lauf zu lassen.

Nach einiger Zeit war ich müde vom Herumstampfen. Ich nahm meinen Seitenkoffer ab, um zumindest sitzend die Aussicht zu genießen. Daraus wurde nur nichts, denn auf einmal kamen mir die Tränen. Ich heulte, als gäbe es kein Morgen mehr. Natürlich kamen auch noch einige Auto- und Motorradfahrer, die fragten, ob sie mir helfen könnten. Wie peinlich ist das denn, bitte schön? Tränenüberströmt bedankte ich mich. Ich konnte die Tränen einfach nicht stoppen, es musste raus. Was tat ich mir leid.

Während ich so dasaß, vor mich hin heulte und jammerte, mit dem Universum hart zu Gericht ging, dass sie mich einfach alleine lassen, sah ich auf einmal einen sehr großen Schmetterling. Mein Krafttieruniversum schickte mir sicherlich schon einige Zeit Schmetterlinge, die ich in meiner Wut wohl übersehen hatte. Den konnte ich nun wirklich nicht übersehen. Gebannt von der Schönheit hielt ich inne.

Mir wurde bewusst, wie viele Menschen angehalten hatten, um mir zu helfen. Der ADAC, dessen Mitarbeiter sich um mich kümmerten. Und ich? Jammerte und klagte alles an, was mir in den Sinn kam, einschließlich mich selbst.

Und als ich diese Erkenntnis hatte, wie ungerecht ich doch zu allen war, kam der Abschleppdienst. Verblüfft mich bis heute. Hätte ich zwei Stunden vorher schon die Erkenntnis gehabt, hätte ich wahrscheinlich gar nicht so lange warten brauchen. Naja, ein wenig Schwund ist überall.

Mein Motorrad wurde aufgeladen, ich wurde nach Hause gebracht und fand vor der Tür den schwarzen Tiger, der mich freudig begrüßte. Er war einfach da und zeigte mir: Ich bin nicht alleine.

Die nächsten Tage verbrachte ich mit vielen Telefonaten mit dem ADAC, dem Abschleppdienst, der Werkstatt und der Autovermietung. Da ich kein Französisch spreche, halfen mir meine Vermieter, indem sie die Telefonate übernahmen.

Es kam heraus, dass es die Batterie ist, aber noch ein zusätzlicher Schaden vorhanden ist. Dafür fehlte das Ersatzteil. Ich könnte zwar bis zur Fähre kommen, würde aber nicht mehr herunterfahren können, da die Batterie sich wieder entladen würde. Gut, verstanden habe ich nur so viel: nicht zu reparieren. In sieben Tagen könnte das Ersatzteil da sein.

Sieben Tage? Wenn nicht, wieder anrufen, oder?

Der ADAC forderte von mir eine Entscheidung. Warten oder Rücktransport. Warten konnte ich nicht, denn ich hatte noch Folgetermine. Das wäre nicht nur ein großer finanzieller Schaden gewesen, ich hätte auch meine Zusage zum Tiersitting nicht einhalten können und hätte damit, andere unnötig in die Bredouille gebracht. Auch alle anderen Optionen, die ich mir überlegte, kamen nicht infrage. Schweren Herzens entschied ich mich für den Rücktransport meiner geliebten, treuen Begleiterin der letzten fünfzehn, davon die letzten zweieinhalb sehr intensiven Jahre.

Und dann geschah etwas Merkwürdiges: Ich erhielt ein Angebot für eine Unfallversicherung. Nach all den Jahren auf dem Motorrad, völlig unerwartet, genau jetzt. War das etwa die Antwort des Universums auf meine verzweifelten Fragen in der Parkbucht? Ich nahm es an und es beruhigte mich.

Ich mietete ein Auto, um mobil zu sein. Auf der Rücktour vom Autovermieter besuchte ich die Werkstatt, um meine Koffer mit meiner Motorradkleidung ans Motorrad zu bringen. Schnürte noch die Abdeckplane und den Rückenprotektor darauf. Einzig den Motorradhelm habe ich noch bei mir. Der wäre nie sicher nach Deutschland gekommen.

Während des Abschiedes dachte ich über die letzten zweieinhalb Jahre nach. Ich bin von einem Land zum nächsten mit dem Motorrad unterwegs gewesen. Bei minus 3 Grad bis hin zu 40 Grad, bei Wind, Regen und Sonnenschein. Es war schön, es fühlte sich frei an, ich war unabhängig und von mir aus könnte es ewig so weitergehen. Doch vor einigen Wochen hatte ich schon so eine Wahrnehmung, dass sich etwas ändern wird, nur konnte ich es nicht benennen. Nun wusste ich, dass ich meinen Lebensstil etwas anders fortführe. Dennoch, der Abschied von meinem Motorrad war, wie soll es anders sein, tränenreich. Manchmal habe ich wirklich nah am Wasser gebaut.

Wieder zu Hause lag der schwarze Tiger vor meiner Tür.

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich in aller Ruhe, genoss die Sonne, kuschelte den schwarzen Tiger, erkundete noch ein wenig die Insel und ruhte mich aus. Am letzten Abend nahmen der schwarze Tiger und ich Abschied voneinander. Er war einfach da und zeigte mir, wie frei und dennoch in Verbindung ich mit allen bin.

Von Korsika ging die Fähre nach Sète, Frankreich. Hier habe ich zwei Koffer und einen Rucksack gekauft, um meine Habseligkeiten zu transportieren. Die letzten Telefonate mit dem ADAC, der Motorradwerkstatt in Deutschland, sowie mit meinem Neffen, der mir anbot, mein Motorrad bei sich so lange unterzustellen, bis ich wieder in Deutschland bin, erledigt.

Fazit

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in einem Bistro in Sète. Es ist voll, jeder Tisch ist besetzt. Neben mir sitzen zwei junge Männer, die mich etwas irritiert anschauen. Mir laufen die Tränen. Diesmal aber eher vor Rührung als vor Kummer.
Von Korsika habe ich nicht viel gesehen, was schade ist, denn es ist wirklich eine schöne Insel. Dafür habe ich mein Vertrauen wiederbekommen. Das Vertrauen darauf, dass es überall auf der Welt Engel gibt, ob nun als Mensch oder als Tier, für die es genauso wie für mich selbstverständlich ist, jemandem in Not zu helfen. Diese Verbindung beruhigt ungemein und zeigt mir: Ich bin nicht alleine, auch wenn ich mir weiterhin alleine die Welt ansehe. Wer weiß, vielleicht hat mich dieses Erlebnis zusätzlich noch vor einem Unfall gerettet.

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