Der Moment, in dem es passierte
Ein Fußballspiel, Kaffee und Kuchen, aber die Barhocker bleiben leer
Eine weitere Anekdote aus meinem Leben als Reise-Tiersitterin, diesmal von der Insel Gozo, einer Nachbarinsel von Malta. Malta hatte schon eine sehr schöne Energie für mich, aber auf Gozo war noch viel mehr zu spüren. Ich hatte viel davon gelesen, doch dass ich es selbst einmal erlebe, das hätte ich nicht gedacht. Aber lest selbst:
In einem Sportlerheim auf Gozo gibt es sehr guten Kaffee und leckeren Kuchen, es lohnt sich also dort vorbei zu schauen. So habe auch ich den Weg dorthin gefunden und zum Glück noch an einem kleinen Tisch einen angenehmen Platz bekommen. Heute ist es voller als die Tage zuvor. Wahrscheinlich weil viele so wie ich der Auffassung sind, an einem stürmischen Sonntag Nachmittag ein wenig die Leckereien zu genießen. Ich beschließe, einfach nur zu schauen, meinen Kaffee und Kuchen zu genießen und abzuwarten, was passiert.
Mein Tisch steht genau gegenüber von der Eingangstür. Links davon beginnt der Tresen. Als erstes ein Kuchenbuffet mit all den Leckereien, dann geht der Tresen über Eck und wird zu einer langgezogenen Bar. Vor dieser Bar stehen Barhocker, die heute von keinem Gast genutzt werden. Stattdessen stehen zwei Männer und eine Frau vor der Bar und unterhalten sich mit dem Chef des Sportlerheims.
Zu meiner rechten Seite sitzen fünf Damen zusammen und spielen Karten. Sie unterhalten sich, lachen viel und schauen auch ab und zu konzentriert in ihr Kartenblatt. Manchmal ist es still an dem Tisch, was für alle angenehm entspannt wirkt. Gerade legen sie ihre Karten hin, denn eine Dame hat gewonnen. Eine Spielanalyse, so wie es Männer häufig nach einem Kartenspiel machen, fällt hier aus. Es wird gelacht und die Karten neu gemischt und ausgeteilt.
Ein Paar kommt rein und sie entscheiden sich für den Tisch in der Mitte. Der Mann lässt der Frau den Vortritt und fragt nach ihren Wünschen. Sie nimmt Platz während er an den Tresen geht und bestellt. Wie selbstverständlich bringt er seiner Begleitung den Kaffee und Kuchen. Sie genießen schweigend und erst, als der Kuchen getilgt ist, beginnen sie, sich zu unterhalten. Sie lacht über etwas, was er sagt, und berührt dabei kurz seine Hand.
Ein Junge in Fußballkleidung und einem Fußball unterm Arm kommt rein. Sichtlich stolz trägt er ein gelbes Trikot. Vielleicht hat seine Mannschaft gerade gewonnen und er hat das Tor dafür geschossen? Er ist bekannt, denn er wird von den Bedienungen herzlich begrüßt. Auch er sucht sich ein Stück Kuchen aus und geht wieder raus. In der einen Hand den Kuchen, in der anderen seinen Fußball.
Links schräg vor mir sitzen drei Männer im trauten Schweigen zusammen und schauen zum Fernseher, der rechts oben in der Ecke hängt. Es scheint ein wichtiges Fußballspiel zu sein, das ohne Ton über den Bildschirm läuft.
Direkt links neben mir sitzt ein deutsches Paar, das sich die Abendkarte geben lässt. Sie übersetzt ihm die Speisekarte und dabei trinken sie ein Wasser. Der Kleidung nach zu urteilen sind sie wandern gewesen.
Die Bedienung geht von Tisch zu Tisch und schaut nach dem Rechten und fragt, ob wir noch einen Wunsch haben. Da die Küche erst in zwei Stunden wieder geöffnet hat, bestellt sich das deutsche Paar neben mir noch einen Kaffee.
Halbzeit im Fußballspiel. Die Männer brechen ihr Schweigen und unterhalten sich leise und diskret.
Die Frau vom Tresen beginnt zwischen dem Tresen und den Damen, die rechts von mir Karten spielen, mehrmals an mir vorbei zu flanieren. Die Herren am Tresen sind in einem angeregten Gespräch vertieft.
Der Chef hat sich mittlerweile seiner Arbeit gewidmet. Obwohl er ein mürrisches Gesicht macht, spricht er mit seinen Mitarbeitern und Gästen sehr freundlich und ruhig. Er bereitet mit sichtlicher Sorgfalt jeden Kaffee zu.
Eine Mitarbeiterin beginnt den Raum zu fegen und eine andere wischt hinterm Tresen den Boden.
Ein Mitarbeiter geht raus, in der rechten Hand eine Zigarette, die andere Hand wühlt in seiner Hosentasche nach seinem Feuerzeug, was er auch findet. Noch im Rausgehen zündet er sich seine Zigarette an. Als er zurückkommt, riecht er nach Tabak und feuchter Luft. Er wischt sich über das nasse Haar – draußen hat es angefangen zu regnen. Tatsächlich höre ich es jetzt auch: das sanfte Trommeln auf dem Dach.
Vier jugendliche Männer kommen rein und wählen einen Tisch zu meiner rechten Seite, direkt unter dem Fernseher. Sie holen alle ihr Handy aus der Tasche und setzen sich. Einer von ihnen holt die Getränke vom Tresen. Kurz darauf kommt der Fußballjunge wieder herein, diesmal ohne Ball. Er schüttelt das Wasser aus seinen Haaren und setzt sich zu den vier Jugendlichen. Sofort wird er ins Gespräch einbezogen.
Eine der Kartenspielerinnen steht auf und bestellt eine weitere Runde Getränke. Sie wartet geduldig am Tresen und trägt dann das Tablett mit einer Selbstverständlichkeit zu ihrer Spielrunde zurück.
Mir wird bewusst, wie viele Menschen in diesem Raum sind und ihn mit Leben füllen.
Draußen pfeift der Wind durch die schmale Gasse. Ein Windstoß lässt die Eingangstür kurz klappern. Der Regen wird stärker. Durch das beschlagene Fenster sehe ich verschwommene Silhouetten von Menschen, die eilig vorbeihuschen. Niemand im Café scheint es eilig zu haben, zu gehen.
Und ich? Ich bin mitten drin und fühle mich wohl. So als würde ich auf dieser Insel leben und dazugehören und nicht als Reisende nur einige Zeit hier verbringen.
Ich lehne mich entspannt zurück und plötzlich passiert es. Das, wovon ich so viel gelesen, aber selbst noch nie erlebt habe und mir nie so richtig vorstellen konnte.
Die Konturen verschwimmen leicht und dann – ich sehe sie! Die Energien in diesem Raum, lebendig, fließend, überall. Sie fließen wie ein leichter Nebel zwischen all diesen Menschen, verbinden sie, erschaffen diesen einen, einzigartigen Moment. Wahnsinn.
